Freitag, 20. Juli 2012

Ist Erziehung doch Glückssache?


Heute Morgen habe ich im Bus zwei Damen belauscht, die sich über das Thema Erziehung ausgelassen haben, bzw. über das Fehlen derselben bei den meisten Kindern.



Das Gespräch noch im Kopf, habe ich mich dann eine Stunde im Wartezimmer meines Orthopäden aufhalten dürfen, an sich schon keine meine Lieblingsbeschäftigungen. Aber irgendwann möchte ich mal wieder länger als eine Viertelstunde schmerzfrei laufen, also muss ich da durch.

Nun denn, mir gegenüber saß eine Dame in meinem Alter, die fröhlich ihre angehende oder vielleicht auch fortschreitende Erkältung gepflegt hat. Aus tiefsten Herzen und voller Inbrunst wurde da die Nase hochgezogen, bis dahin war mir gar nicht bewusst in wie vielen Tönen und Nuancen man so etwas zelebrieren kann. Kurze und lange Zieher, helle und dunkle Töne, alles vorhanden. Einige wurden eher leicht in den Raum geworfen, andere hatten den Anschein, als wenn die gute Frau lange dafür geprobt hätte. Wer weiß, mit ein wenig Anleitung und Rhythmus wäre noch ein Lied daraus geworden.

Der Herr neben ihr hatte seine eigenen Probleme. Wann immer er auch schwer verdauliche Nahrung  zu sich genommen hat, zum Entsetzen aller meldet sich diese genau jetzt zurück. Erstaunlicherweise harmonierte sein Aufstoßen hervorragend mit den Nasenhochziehern seiner Nachbarin. Vielleicht doch ein einstudiertes Duett? 

Unnötig zu erwähnen, dass bei einer so umfangreichen Darbietung keine Zeit blieb, den neu eintretenden Leuten einen Gruß zu gönnen. Nicht dass hinterher noch der Einsatz verpasst wird...

Wir sprechen hier übrigens genau über jene Altersgruppe, welche die beiden Damen im Bus als Beispiel erwähnt haben, nach dem Motto " Das hätte es zu unserer Zeit nicht gegeben". Scheint alles relativ zu sein.

Ich gebe ihnen aber trotzdem Recht, was die Erziehung von Kindern angeht, wie man es heute oft mitbekommt. Da schreit ein Kind die halbe U-Bahn zusammen und tritt der Mutter gegen das Schienbein, nachdem sie höflich darum gebeten hat mit dem Schreien aufzuhören.
Mama wird dann richtig böse und spricht ein Machtwort. Was sich in der heutigen Zeit ungefähr so anhört: „Jaqueline-Chantal, das war jetzt nicht nett von dir, du darfst der Mama nicht wehtun, das macht sie ganz unglücklich und da müssen wir Zuhause dringend drüber reden." 

Die noch lautere und gemeinere Reaktion des kleinen Teufels kann sich wahrscheinlich jeder vorstellen. Mag sein, dass ich als kinderloses Wesen die heutige Pädagogik nicht verstehe oder die neuen Erziehungsmethoden. Aber leider ertappe ich mich tatsächlich auch dabei zu denken: „Das hätte es bei meinen Eltern nicht gegeben“ (ein Satz, den ich mir geschworen hatte nie auszusprechen) 

Jetzt mal im Ernst. Ich kannte meine Grenzen als Kind ( auch wenn meine Mutter hier wahrscheinlich widersprechen wird), aber wenn ich sie tatsächlich einmal überschritten habe, dann gab es halt mal einen drauf, als Gedächtnisstütze. Wie sagt man so schön: „Leichte Schläge auf den Hinterkopf erhöhen das Denkvermögen….“

Hat es mir geschadet? Da ich weder manisch-depressiv, noch eine Serienmörderin geworden bin, keine Tiere quäle oder sonstige Lebewesen, würde ich einfach mal behaupten: nein.

Aber wie gesagt, vielleicht verstehe ich es ja auch nicht, wie das heute so läuft. Diese Bildungslücke teile ich dann allerdings mit ungefähr Zweidrittel der anderen kinderlosen U-Bahngäste, welche auch nur noch den Kopf geschüttelt haben. 

Ganz allgemein betrachtet bin ich auch der Meinung, dass einige der Werte verlorengegangen sind, die man mir noch beigebracht hat. Höfliche Begrüßungen, herzliche Verabschiedungen, "Bitte" und "Danke", scheinen immer mehr vom Aussterben bedroht zu sein. Ich weiß nur nicht, ob dies allein Erziehungssache ist, oder eher ein gesellschaftliches Problem, in einer Zeit, die einfach nicht mehr so viel Wert auf Respekt und Gefühle legt. 

Lustig fand ich den Herrn mittleren Alters vor zwei Tagen beim Aldi, den ich an der Kasse vorgelassen habe, da er nur vier Teile im Korb hatte. Nachdem er sich immer wieder zu mir umgedreht hat, kam dann irgendwann der Kommentar: " Wissen sie, das ist mir schon lange nicht mehr passiert. Damit habe ich jetzt wirklich nicht gerechnet. Meist holen die Leute die Ellbogen heraus und verteidigen ihren Platz in der Schlange". 

Lustig als Situation, ich habe wirklich herzhaft gelacht, aber eigentlich traurig als Beobachtung an sich.

Alles in allem, würde ich abschließend sagen, dass Erziehung wahrscheinlich doch Glücksache ist, oder wie seht Ihr das?